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Adoptionsfaktoren der Cradle-to-Cradle-Implementierung in Deutschland

Eine explorative Untersuchung anhand qualitativer Interviews

AutorNadine Stein
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl196 Seiten
ISBN9783741270031
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Die Implementierung des Cradle-to-Cradle-Konzepts kann einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung langfristig tragbarer Wirtschafts- und Konsummuster leisten. Dennoch wird dem Konzept speziell in Deutschland große Skepsis entgegengebracht. Warum findet es in einem Land, das als Innovationsschmiede und Vorreiternation der Nachhaltigkeit gehandelt wird, so wenig Anklang? Inwieweit tragen das politisch-rechtliche Umfeld, die Kommunikationsstrukturen rund um den Cradle-to-Cradle-Ansatz oder die kulturellen Rahmenbedingungen zur deutschen Zurückhaltung bei der Implementierung bei? Welche Erkenntnisse und Empfehlungen lassen sich daraus für eine nachhaltige Entwicklung und das nach wie vor bestehende Umsetzungsdefizit von Nachhaltigkeitsinnovationen ableiten? Die Autorin führte neben einer intensiven Auseinandersetzung mit dem theoretischen Kontext Interviews mit zehn ausgewiesenen Experten aus der Praxis und kommt am Ende zu dem Schluss, dass es zur Umsetzung einer derart radikalen Innovation mehr bedarf als des Willens zu technischem Fortschritt.

Nadine Stein, M.Sc., ist Mitglied des gemeinnützigen Cradle to Cradle e. V. sowie Mitbegründerin und ehemalige Sprecherin der ersten Regionalgruppe in Lüneburg. So ist sie selbst Teil der noch jungen Cradle-to-Cradle-Bewegung in Deutschland. Sie hat Kultur- und Nachhaltigkeitswissenschaften an der Leuphana Universität Lüneburg studiert.

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Leseprobe

2Theoretische Grundlagen


In diesem Teil der Arbeit werden die wesentlichen theoretischen Grundlagen dargestellt, die die nachfolgende Untersuchung leiten. Auf die Begriffserläuterungen zur Nachhaltigkeit und Innovation folgen die Darstellung und Einordnung des Cradle-to-Cradle-Konzepts in den Kontext der Nachhaltigkeitsinnovation sowie eine Vertiefung der Diffusionstheorie, insbesondere die für die Untersuchung relevanten Adoptionsfaktoren.

2.1Begriffsdefinition Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung


Der Begriff „Sustainable Development“, im deutschsprachigen Raum gemeinhin als „nachhaltige Entwicklung“ oder „Nachhaltigkeit“ bezeichnet, hat seit der Weltumweltkonferenz 1992 in Rio zunehmend an Bekanntheit gewonnen (MICHELSEN/ADOMßENT 2014, 3). Dennoch existiert bis heute keine einheitliche und universell gültige Definition nachhaltiger Entwicklung (VON HAUFF/KLEINE 2009, 27). Deren Relevanz in diversen Interessengebieten hat zu unterschiedlichen Auslegungen des Begriffs durch beteiligte Akteursgruppen und letztlich zu Widersprüchen und Mehrdeutigkeit im Begriffsverständnis geführt2 (MICHELSEN/ADOMßENT 2014, 3; OTTO 2007, 28).

Obwohl der Begriff erstmals im 18. Jahrhundert durch den Oberberghauptmann CARL VON CARLOWITZ im Rahmen der Forstwirtschaft geprägt wurde (VON CARLOWITZ 1713), stammt die bekannteste und am häufigsten zitierte Begriffsdefinition, über die zumindest ein breites Einvernehmen herrscht, aus dem Report der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen, besser bekannt als Brundtland-Kommission (MICHELSEN/ADOMßENT 2014, 12–13). Die vorliegende Arbeit stützt sich auf diese Definition und versteht nachhaltige Entwicklung somit als „development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs“ (WCED 1987, 54). Grundlage für die Problemanalyse und die entwickelten Handlungsempfehlungen der Brundtland-Kommission für eine nachhaltige Entwicklung bilden die drei Grundprinzipien der Verflechtung von Entwicklungs- und Umweltaspekten, der Einbeziehung globaler Verknüpfungen und der Gerechtigkeit. Letztere setzt sich aus einer intergenerationellen und intragenerationellen Perspektive zusammen (MICHELSEN/ADOMßENT 2014, 13):

  • „die intergenerationelle Perspektive, verstanden als Verantwortung für künftige Generationen,
  • und die intragenerationelle Perspektive, im Sinne von Verantwortung für die heute lebenden Menschen, v. a. für die armen Staaten und als Ausgleich innerhalb der Staaten“ (ebd., 13).

Ähnlich zu den Uneinigkeiten bezüglich der Definition von Nachhaltigkeit ist auch die Unterscheidung zwischen den Begriffen Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung nicht eindeutig festgelegt (OTTO 2007, 37). In Deutschland gilt Nachhaltigkeit häufig als Kurzform des Begriffes nachhaltige Entwicklung (ebd., 37–38). Im Zuge dieser Arbeit wird Nachhaltigkeit jedoch als angestrebter Zustand verstanden (DI GUILIO 2004, 72). Dieser Zielzustand wäre erst dann erreicht, „wenn jeweils alle gegenwärtigen Menschen ihre (Grund-)Bedürfnisse befriedigen und ein gutes Leben führen könnten und wenn dies (durch weitere Entwicklung) auch für die Zukunft, d. h. für die jeweils künftigen Generationen, gesichert wäre“ (ebd., 72). Nachhaltigkeit ist in diesem Sinne Ziel eines Prozesses, welcher als nachhaltige Entwicklung verstanden wird (ebd., 72).

Eine weitere Grundlage vieler Definitionen bilden die Nachhaltigkeitsdimensionen, deren Ursprünge ebenfalls im Brundtland-Report zu finden sind (VON HAUFF/KLEINE 2009, 9; DI GIULIO 2004, 75). In jenem weist die WCED auf Zusammenhänge zwischen sozialen, wirtschaftlichen und umweltbezogenen Problemen hin und fordert eine integrierte und gleichberechtigte Betrachtung dieser drei Aspekte, um eine nachhaltige Entwicklung durchzusetzen (DI GIULIO 2004, 75). Auf dieser Basis haben sich seither diverse Konzepte um die Dimensionen entwickelt, die sich vorrangig in der Anzahl (1–8)3 und der Gewichtung unterscheiden. Am häufigsten wird das Drei-Dimensionen-Modell verwendet, das die Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales betrachtet (MICHELSEN/ADOM–ENT 2014, 28–29). Darüber hinaus werden insbesondere auch kulturelle, politische und institutionelle Dimensionen diskutiert (ebd., 29–30; TREMMEL 2003, 116).

Trotz anhaltender Bemühungen und generiertem Wissensstand ist es bisher nicht gelungen, eine in diesem Sinne nachhaltige Entwicklung zu initiieren und die Folgen nicht nachhaltigen Handelns mit den bestehenden Ansätzen zu verringern (FISCHER ET AL. 2007, 621). Es lässt sich im Gegensatz sogar eine Verschlechterung der Zustände verzeichnen (WEIJERMARS 2011, 4667). FISCHER ET AL. (2012, 153) sehen die bestehenden Barrieren vor allem im menschlichen Verhalten verankert und KAGAN (2012, 11) weist darauf hin, dass die Notwendigkeit einer kulturellen Transformation, ergo das Erfordernis, die „Software unseres Handelns neu zu schreiben“ (ebd., 11), in bisherigen Bemühungen verkannt wurde. Ohne die Veränderung bestehender kultureller Paradigmen werden Bemühungen um technologische, ökonomische und politische Veränderungen (Hardware) weitestgehend erfolglos bleiben (ebd., 11). Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit die kulturelle Dimension den sonst üblichen Dimensionen Ökonomie, Ökologie und Soziales hinzugefügt.

Nur wenn kulturelle Werte und Praktiken hinterfragt und wenn nötig abgewandelt werden, besteht die Chance, den sustainability gap zu schließen (ORNETZEDER/BUCHEGGER 1998, 31; KURT/WEHRSPAUN 2001, 17). Aufgrund dessen wird Kultur bezüglich der Gewichtung der Dimensionen im Sinne von KURT und WEHRSPAUN (2001) „als eine Art ‚energetischer Fokus‘“ (ebd., 21) gesehen:

„Metaphorisch zu denken als der Punkt, durch den die einzelnen Dimensionen […] aufeinander rückstrahlen; als Pol, der die relativen Gewichtungen der verschiedenen Dimensionen austariert, und in dem sich so letzten Endes die Stimmigkeit und Tragfähigkeit des gesamten Gefüges entscheidet“ (ebd., 21).

Hinsichtlich der Gewichtung ökologischer, sozialer und ökonomischer Aspekte wird eine gleichberechtigte Betrachtung gewählt (siehe Abb. 1). Diese wird auch von den Begründern des Cradle-to-Cradle-Konzepts vertreten (BRAUNGART/MCDONOUGH 2011a, 190–191).

2.2Begriffsdefinition Innovation


„Innovation“ ist heutzutage allgegenwärtig und inzwischen auch ein fast schon modischer Begriff (HAUSCHILDT/SALOMO 2011, 3). Obwohl in vielen Fachbereichen verwendet, besteht bis heute kein einheitliches Verständnis darüber, was genau unter dem Begriff zu verstehen beziehungsweise wie er zu definieren ist (BAREGHEH/ROWLEY/SAMBROOK 2009, 1324; VON STAMM 2010, 27).4 Wird die etymologische Herkunft betrachtet, lässt sich Innovation aus den lateinischen Wörtern „innovatio“ (Erneuerung, Veränderung) und „novus“ (neu) ableiten (DUDEN 2007, 884). Bei einer Innovation handelt es sich demnach nicht nur um etwas Neuartiges (HAUSCHILDT/SALOMO 2011, 3–4). Sie trägt darüber hinaus zu einer Veränderung des Bekannten bei (ebd., 3–4). Welche Bedeutung das Wort „neu“ in diesem Kontext einnimmt, wird in Fachkreisen ebenfalls unterschiedlich interpretiert (VAHS/ BREM 2013, 22). Obwohl Innovationen mit etwas Neuem in Verbindung gebracht werden, ist nicht alles Neue zugleich eine Innovation (O. A. 2014a, 9). In Anlehnung an ROGERS Definition von Innovation als „any idea, practice or object perceived as new by an individual or another unit of adoption“ (ROGERS/SHOEMAKER 1971, 19) heben HAUSCHILDT und SALOMO (2011, 18) die Rolle der Wahrnehmung in der Innovationsbestimmung hervor. Eine Erfindung kann demnach erst dann als Innovation bezeichnet werden, wenn sie von potenziellen Adoptoren als neu und innovativ eingeschätzt wird (FICHTER 2011, 18; HAUSCHILDT/SALOMO 2011, 18). Die alleinige Erfindung einer solchen Neuartigkeit (Invention) ist demnach nicht ausreichend, um sie als Innovation zu definieren. Es handelt sich um eine „Invention“ (HAUSCHILDT/SALOMO 2011, 5). Im Gegensatz zur Invention besteht die Innovation aus einer geplanten und gezielt durchgesetzten Erneuerung, mit dem Ziel, Bestehendes zu optimieren oder Neuartiges einzuführen (HAUSCHILDT/SALOMO 2011, 5–11; BROCKHAUS 1997, 555).

Abb. 1: Die Nachhaltigkeitsdimensionen
Quelle: Eigene Darstellung

Das heutige Innovationsverständnis wurde maßgeblich durch die Werke „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ (1912) und „Business Cycles“ (1939a; 1939b) des Ökonomen SCHUMPETER geprägt (FICHTER 2011, 11–12,), in denen er die Einführung von neuen Systemen, Produkten und Prozessen als „Durchsetzung neuer Kombinationen“ (SCHUMPETER 2006, 158, Erstveröffentlichung 1912) betitelt (RAMMERT 2010, 21). Das dem Innovationsbegriff SCHUMPETERS zugrunde liegende technische Verständnis ist auch heutzutage noch tief verankert, aber vor allem seitens der Politik- und Sozialwissenschaften stark in die Kritik geraten (O. A. 2014b, 15; RAMMERT 2010, 21).

So wird in der modernen Innovationsforschung häufig in enge und breite Begriffsdefinitionen unterteilt (RENNINGS 2005, 18). Der enge Innovationsbegriff bezieht sich „auf technische, ökonomisch direkt verwertbare Neuerungen“ (SAGEBIEL 2013, 95). Wohingegen ein breites Innovationsverständnis auch nicht-technische Neuerungen einbezieht, wie zum Beispiel die Wissenseinführung oder Veränderung der Arbeitsstrukturen einer Organisation, und auf jegliche menschliche Praktiken ausgeweitet werden kann (RENNINGS 2005, 18; DOSTAL 2002, 493). Des Weiteren umfasst ein breites Verständnis neben...

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