2.3 Die Umstände in den Niederlanden
Gemessen an den allgemein im 17. Jahrhundert vorherrschenden künstlerischen Bedingungen bezüglich Auftraggeber, Themenwahl und Malweise erscheint es umso erstaunlicher, dass sich zu dieser Zeit in den Niederlanden eine völlig andere Art und Weise der Malerei, besonders auch der Landschaftsmalerei, herausbildet. Dies ist unter anderem auf die besonderen historischen Umstände, die im 17. Jahrhundert in den Niederlanden herrschen, zurückzuführen. Auf diese soll deshalb zunächst kurz eingegangen werden.
In Bezug auf die Niederlande wird das 17. Jahrhundert als das „goldene Zeitalter“ bezeichnet. Dies lässt sich nicht nur auf die Kunst (insbesondere die Malerei) anwenden, sondern auch im Allgemeinen. Die Niederlande können sich durch den achtzigjährigen spanisch-niederländischen Unabhängigkeitskrieg (1586-1648) als Großmacht innerhalb Europas etablieren und zur führenden See- und Handelsnation aufsteigen. Im Westfälischen Frieden 1648 wird dann auch die endgültige Teilung der Niederlande sanktioniert. Im Norden liegt nun die protestantische Republik der Vereinigten Niederlande, auch Generalstaaten genannt (bestehend aus den Provinzen Holland, Seeland, Utrecht, Geldern, Groningen, Friesland, Overijssel), im Süden
befinden sich die katholischen Niederlande (Flandern, Brabant, Limburg), die weiter unter spanischer Herrschaft bleiben. 23
Diese Spaltung hat auch Auswirkungen auf die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts. In den nach wie vor katholisch geprägten, südlichen Niederlanden herrschen immer noch kirchliche und adlige Auftraggeber vor, was nicht unwesentlich Einfluss auf die Wahl der Motive hat. Religiöse Bildthemen werden weiter bevorzugt. In den protestantischen, nördlichen Provinzen (Holland fällt dabei schnell die Führungsrolle zu) dagegen entwickelt sich das Bürgertum zur wichtigsten Schicht der Auftraggeber. Hier werden profane Themen bevorzugt, was auch zu einem Aufschwung der bisher eher abschätzig betrachteten Gattungen, wie Stillleben-, Genre- oder Landschaftsmalerei führt. 24
Dabei sollte jedoch nie vergessen werden, dass Unterschiede zwischen der Malerei im Norden der Niederlande (holländische Malerei) und im Süden (flämische Malerei) zwar vorhanden sind, diese sich aber in vielen Bereichen auch wieder berühren (beispielsweise durch flämische Künstler, die nach Holland kommen), voneinander lernen und letztlich auch einen gemeinsamen Ausgangspunkt haben. Aufgrund dieser besonderen, historischen Umstände im niederländischen 17. Jahrhundert soll nachfolgend die spezifische Entwicklung der Landschaftsmalerei, sowohl in Flandern als auch in Holland, mit ihren wichtigsten Künstlern kurz skizziert und Aelbert Cuyp mit seinem Werk dort positioniert werden. Den Ausgangspunkt für die Landschaftsmalerei in den Niederlanden bildet im 15. Jahrhundert das Stundenbuch des Duc de Berry der Gebrüder Limburg, welches Landschaft als Hintergrund für die einzelnen Monatsdarstellungen zeigt. Jan van Eyck (um 1390-1441) entwickelt dies weiter und setzt eine minutiös beobachtete Landschaft als Hintergrund in religiös inspirierten Gemälden ein. Als erster „richtiger“ Landschaftsmaler kann dann im 16. Jahrhundert der Flame Joachim Patinir (um 1475/80-1524) bezeichnet werden. Er entwickelt die sogenannte flämische Weltlandschaft, die sich durch einen weiten Panoramablick auszeichnet, mit erhöhtem Horizont, zum Teil mehreren Blickpunkten und einer Fülle von Details. Diese Landschaften erscheinen wie aus der Vogelperspektive betrachtet, das Hauptaugenmerk liegt darauf, einen Ausschnitt der Welt in seiner ganzen Fülle zu
zeigen. Der Anspruch, einen topographisch korrekten Ausschnitt wiederzugeben, wird hier jedoch nicht erhoben. Wirklich naturalistisch sind diese Bilder noch nicht, Ansätze dazu lassen sich alleine in den Details finden. Dieser Bildtypus wird auch von Herri met de Bles (um 1480-1560/70) sowie Lucas Gassel (um 1495/1500- 1568/69) aufgegriffen und entwickelt sich im flämischen Bereich zur auf lange Zeit vorherrschenden Bildgattung. 25
Auch Pieter Bruegel der Ältere (um 1525/30-1569) steht in der Tradition der Patinirschen Weltlandschaft. Er wendet sich jedoch nun auch der Malerei nach der Natur zu, seine Weltlandschaften zeigen eine genauere Beobachtung der realen Landschaft. Dies zeigt sich besonders an den Zeichnungen, die er auf seiner Italienreise 1551-1554 anfertigt. Hier ist die Landschaft zum ersten Mal Hauptgegenstand, nicht nur Hintergrund für eine wie auch immer geartete, figürliche Szenerie. Einflussreicher als seine Weltlandschaften ist in der weiteren niederländischen Landschaftsmalerei aber der von Bruegel neu kreierte Typus der Waldlandschaft. Sie wird von Gillis van Coninxloo (1544-1606) ebenso wie auch von Lucas van Valckenborch (vor 1535-1597) und David Vinckboons (1576-1632) aufgegriffen. 26
Bruegels neue Formen der Landschaftsdarstellung werden einem breiterem Publikum durch Radierungen zugänglich, die nach seinen Landschaften gemacht werden. Zu erwähnen wären hier die Radierfolgen von Hieronymus Cock (1518-1570) und Claes Jansz Visscher (1587-1652). Visschers Radierungen, im holländischen Amsterdam herausgegeben, beeinflussen so auch die Landschaftsmaler in Holland. Die Ideen der flämischen Landschaftsmalerei werden auch durch die nach Holland emigrierenden flämischen Künstler weiterverbreitet. Krieg, wirtschaftliche Missstände, sowie religiöse Verfolgung lassen Maler wie Hans Bol (1535-1593), Roelandt Savery (1576-1639) und Gillis van Coninxloo vom katholischen Süden in den protestantischen und toleranteren Norden fliehen, von wo aus diese die Errungenschaften der Flamen auch holländischen Künstlern zugänglich machen. 27 So wird von diesen Künstlern auch der Holländer Abraham Bloemart (1564-1651) beeinflusst. Er bleibt der flämischen Tradition lange verhaftet. Bloemart konzentriert
sich vor allem darauf, bestimmte Ausschnitte einer Landschaft darzustellen, anstatt einen Überblick über einen größeren Landschaftsabschnitt zu geben. Neben Bloemart lassen sich noch zahlreiche andere holländische Künstler von der flämischen Kunst inspirieren. Dies ist zunächst vor allem in der Druckgraphik zu spüren. Der bereits erwähnte Claes Janz Visscher aus Amsterdam sowie der aus Haarlem stammende Hendrick Goltzius (1558-1617) setzen sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts in ihren Graphiken als erste in Holland mit dem Versuch einer naturalistischen Landschaftswiedergabe auseinander. Sie zeigen ihr Heimatland in all seinen Facetten, von Ansichten einzelner Städte bis zu einfachen Landschaftsszenen, und wollen damit nicht mehr als die Gegenwart, wie sie sich im Moment gerade darstellt, wiedergeben. Man vermutet, dass dieses Aufblühen einer naturalistischen Kunst auch damit zu erklären ist, dass die Holländer durch ihren - letztendlich auch vom Erfolg gekrönten - Kampf gegen die spanische Herrschaft ein Gefühl des Stolzes für ihr eigenes Land entwickeln, der seinen Ausdruck in eben dieser naturgetreuen Darstellung der eigenen Umgebung findet. 28 Im Bereich der Malerei greift Esaias van de Velde (1591-1630) die naturalistische Landschaftsdarstellung auf. Er befreit sich von den vielen Details, die oft noch frühere Landschaftsdarstellungen bestimmen und konzentriert sich allein auf die einfache, ländliche Szenerie des damaligen Holland. Darüber hinaus wendet er sich von der dekorativen Farbigkeit früherer Landschaften ab, er verwendet nur mehr eine reduzierte Farbpalette und setzt seinen Horizont tiefer als seine Vorgänger. Dies gibt seinen Werken eine in der Landschaftsmalerei noch nie vorher da gewesene räumliche Einheitlichkeit. 29 Erich Steingräber zufolge war es, neben Jan van Goyen und Hendrik Averkamp, Esaias van de Velde, der „als erste[r] den Schritt zur realitätsbezogenen holländischen „Nationallandschaft“ [vollzog], die sich gegen die italienisch-französische, aber auch gegen die flämische Landschaftsauffassung entschieden absetzt.“ 30
Ebenfalls im Stil von Esaias van de Velde arbeitet später sein aus Leiden stammender Schüler Jan van Goyen (1596-1656). Auch er geht zunächst von den Neuerungen, die flämische Maler nach Holland bringen, aus, wendet sich dann jedoch der naturalistischen Malweise zu. In Anlehnung an van de Velde malt er
ebenfalls Landschaften mit tief liegendem Horizont und einer auf grau-braun Töne begrenzten Farbpalette. Um seine Gemälde zu einem einheitlichen Gebilde werden zu lassen, reduziert er nach und nach sowohl Motive wie auch die Farbigkeit, um letztendlich bei einer in einem einheitlichen Gesamtton gehaltenen, auf Fernsicht angelegten, vom Himmel dominierten „leeren“ Landschaft anzukommen. Die Perspektive wird dabei nicht mehr durch die aus Italien bekannte Diagonalkomposition erreicht, sondern allein durch die Farbigkeit und die Valeurs. 31 Beeinflusst durch Jan van Goyen wird auch der in Haarlem wirkende Salomon van Ruysdael (1600/03-1670), der seine Gemälde in derselben Art ausführt und zusammen mit van Goyen als einer der „führenden Meister der Haarlemer...